Deutschland setzt vorübergehend Corona-Impfungen mit dem Wirkstoff von AstraZeneca aus. Dies sagte Bundesgesundheitsminister Spahn. Zuvor hatten bereits andere Staaten die Impfungen gestoppt – wegen möglicher Nebenwirkungen des Präparats.
Deutschland setzt die Corona-Schutzimpfungen mit dem Präparat von AstraZeneca vorerst aus. Nach neuen Meldungen von Thrombosen der Hirnvenen im zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung in Deutschland und Europa halte das Paul-Ehrlich-Institut weitere Untersuchungen für notwendig, erklärte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn. Es handle sich jedoch um eine reine Vorsichtsmaßnahme. „Wir setzen aus, um zu überprüfen“, so der CDU-Politiker. Das Ergebnis der Überprüfung sei offen.
Das für Impfstoffe in Deutschland zuständige Paul-Ehrlich-Institut schrieb auf seiner Website, dass man bei der Analyse des Datenbestands „eine auffällige Häufung einer speziellen Form von sehr seltenen Hirnvenenthrombosen in Verbindung mit einem Mangel an Blutplättchen und Blutungen in zeitlicher Nähe zu Impfungen mit dem Covid-19-Impfstoff AstraZeneca“ festgestellt habe.
Sieben Fälle bei 1,6 Millionen Impfungen
„Die Bürgerinnen und Bürger wollen sich darauf verlassen, dass die Impfstoffe, die wir zulassen, sicher und wirksam sind“, sagte Klaus Cichutek, Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts, im tagesthemen-Interview. „Ich glaube, wir haben hier eine besondere Verpflichtung.“ Eine Auswertung der Impfdaten in den vergangenen Tagen sowie neue Meldungen über mögliche Nebenwirkungen zu Beginn der Woche hätten zur Empfehlung eines vorübergehenden Impfstopps geführt.
Bei bislang mehr als 1,6 Millionen Impfungen mit dem AstraZeneca-Wirkstoff in Deutschland seien dem Institut inzwischen sieben Fälle von Thrombosen bekannt, die in zeitlichem Zusammenhang mit einer AstraZeneca-Impfung aufgetreten waren. „Wir haben mit Experten noch heute Vormittag abgeklärt, ob hier ein Impfstoff-Zusammenhang bestehen könnte“, sagte Cichutek weiter in den tagesthemen. „Das war nicht auszuschließen, auch nach Meinung der Experten.“ Es sei daher gerechtfertigt, einen Moment zu pausieren, so Cichutek. Nun müsse europaweit diskutiert und die europäischen Daten müssten abgeglichen werden.
Eine fachliche Entscheidung
Die Entscheidung zur Aussetzung der Impfungen mit dem Präparat von AstraZeneca sei eine fachliche und keine politische, sagte Spahn. Und für das Vertrauen in den Impfstoff sei es am wichtigsten, den fachlichen Empfehlungen zu folgen. Bis zum Abschluss der Prüfung seien alle Erst- und Zweitimpfungen mit AstraZeneca ausgesetzt. „Uns allen ist die Tragweite dieser Entscheidung sehr bewusst“, fügte Spahn hinzu. Aber es müsse die Frage geklärt werden, ob der Nutzen der Impfungen größer sei als mögliche Risiken, so der Minister.
Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder glaubt indes nicht, dass die Impfungen mit dem Präparat von AstraZeneca generell ausgesetzt blieben. Es würden nach der Prüfung der Vorfälle im Zusammenhang damit noch viele Gruppen geimpft werden können, sagte Söder im ARD-Brennpunkt. Er kenne viele, die sich sofort damit impfen lassen würden. „Ich würde mich auch sofort hinstellen“, so Söder. Vielmehr müsse „die Impfbürokratie“ deutlich verschlankt werden, sagte der CSU-Chef. „Es braucht auch zu viel Zeit, um in der recht starren Impffolge, die wir jetzt haben, auch möglichst schnell und viel zu verimpfen.“
Weitere Länder setzen Impfungen aus
Die Bundesregierung hatte zunächst auf eine Aussetzung der AstraZeneca-Impfungen verzichtet, nachdem Dänemark diesen Schritt in der vergangenen Woche als erstes Land gegangen war. Kopenhagen hatte auf mehrere Fälle von schweren Blutgerinnseln nach Impfungen mit dem Vakzin verwiesen. Es folgten Norwegen, Island sowie die EU-Länder Bulgarien, Irland und die Niederlande. Österreich, Estland, Lettland, Litauen und Luxemburg setzten die Nutzung von einer bestimmten AstraZeneca-Charge aus; Rumänien stoppte die Nutzung einer anderen Charge.
Italien hatte zunächst ebenfalls lediglich Impfungen mit einer AstraZeneca-Charge ausgesetzt. Inzwischen sind Impfungen mit dem Präparat landesweit gestoppt. Das teilte die italienische Arzneimittel-Agentur Aifa mit. Die Verwendung werde vorsorglich und vorübergehend eingestellt, bis eine Entscheidung der Europäische Arzneimittelbehörde EMA vorliege, hieß es in einer Mitteilung weiter. Die Entscheidung fiel demnach im Einklang mit denen anderer Länder in Europa. Auch Frankreich und Portugal setzten Impfungen mit dem Vakzin aus.
Hersteller hält an Präparat fest
Der britisch-schwedische Hersteller AstraZeneca betonte, die Analyse von mehr als zehn Millionen Fällen habe „keinerlei Beweis für ein erhöhtes Risiko für eine Lungenembolie oder Thrombose“ ergeben. Mitentwickler Andrew Pollard, Leiter der Oxford Vaccine Group, erklärte, es gebe „sehr beruhigende Beweise“, dass das Vakzin in Großbritannien – bislang sein Haupteinsatzgebiet in Europa – nicht zu einer Zunahme von Blutgerinnseln geführt habe. Eine sorgfältige Analyse aller verfügbaren Sicherheitsdaten von mehr als 17 Millionen Menschen habe keine Hinweise auf ein erhöhtes Risiko ergeben, hieß es.
Die Impf-Experten der Weltgesundheitsorganisation (WHO) werden am Dienstag über den Impfstoff von AstraZeneca beraten. Das Beratergremium habe die Daten zur Sicherheit des Vakzins geprüft und stehe „in engem Kontakt mit der EMA“, sagte WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus.
Kritik an Impfstopp
Bislang wurden laut Robert Koch-Institut in Deutschland mehr als 1,6 Millionen Dosen des Impfstoffs verabreicht, bei rund 9,4 Millionen Erst- und Zweitimpfungen insgesamt. Die Aussetzung der Nutzung des Vakzins stieß bei Politikern von SPD und Linkspartei auf Kritik. „Ich halte das für einen Fehler“, sagte der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach dem ZDF. Der Impfstopp werde das Vertrauen in AstraZeneca weiter reduzieren, „dabei gibt es keine neuen Daten, die den Stopp rechtfertigen“, sagte Lauterbach.